
Nein, an die Beliebtheitswerte eines Johannes Paul II. kam Leo Beenhakker nie heran. Dennoch galt der Niederländer in Polen noch vor einem Jahr als eine Art Heilsbringer, der mit einer durchschnittlichen Mannschaft, deren im Ausland spielende Stützen in ihren Vereinen nur noch auf der Ersatzbank sitzen, so wie Jacek Krzynowek, die Qualifikation für die Europameisterschaft schaffte. Ein für den polnischen Fußball historisches Ereignis. Nie zuvor hatte die Nationalmannschaft an der Endrunde dieses Turniers teilgenommen.
Und die Polen waren Beenhakker für dieses Wunder nicht nur dankbar. Spätestens nach dem grandiosen 2:1 Erfolg über Portugal im Oktober 2006 berauschte sich das Land regelrecht an seiner Person. Während der Länderspiele priesen ihn die Fans mit »Leo, Leo«-Sprechchören und tranken mit noch mehr Genuss das Bier der Brauerei, die zur Hälfte sein Gehalt bezahlte. Selbst die polnische Presse, eher dafür berüchtigt, Politiker und Fußballtrainer in Grund und Boden zu schreiben, widmete ihm Leitartikel, in denen sie Beenhakker nicht nur zum Vorbild für die polnische Trainergilde, sondern gleich zum Reformator des heimischen Fußballs erklärte. Lobpreisungen, vor denen selbst die Politik nicht halt machte. Im Februar 2008 verlieh Präsident Lech Kaczynski dem Niederländer den »Orden der Wiedergeburt Polens«, eine der höchsten staatlichen Auszeichnungen östlich der Oder.
Diese Liebesbekundungen beruhten aber nicht allein auf dem sportlichen Erfolg Beenhakkers. Vielmehr galt der niederländische Trainer der polnischen Öffentlichkeit von Anfang an als Gegenpart zu den eigenen Verbandsfunktionären, die in den letzten 20 Jahren tatenlos zusahen, wie der polnische Fußball in einen scheinbar endlos tiefen Sumpf aus Korruption und Erfolglosigkeit versank. »Fickt den PZPN«, hallt es schon seit Jahren durch die polnischen Stadien, egal ob während der Ligaspiele oder den Auftritten der Nationalmannschaft.
Gesänge, die nicht ungehört blieben. Nach der WM 2006 engagierten die so gehassten PZPN-Funktionäre, die sich allein durch ihre Erfolge in den 70er und frühen 80er Jahren legitimieren, den von der Öffentlichkeit so gewünschten ausländischen Trainer, ohne dabei aus ihrem Widerwillen einen Hehl zu machen. »Nun habt ihr bekommen, was ihr haben wolltet. Und jetzt werden wir euch ficken«, raunte im Sommer 2006 der Torschützenkönig der WM ‚74 und jetzige Verbandspräsident, Grzegorz Lato, den polnischen Journalisten entgegen.
Doch Leo Beenhakker gab den Verbandsfunktionären, die ein ehemaliger Generalstaatsanwalt in einem Interview mit Mafiosi verglich, nicht die Möglichkeit, sich an der Öffentlichkeit zu rächen. Ganz im Gegenteil, der 67-Jährige ging regelrecht auf in der ihm zugedachten Rolle des Reformators. Wie besessen reiste er durch das Land und schaute sich noch so erbärmliche Ligaspiele an, um junge Talente zu entdecken. Talente, für die Beenhakker regelmäßig mehrtätige Trainingslager veranstaltete, um sie nicht nur an die Nationalmannschaft heranzuführen, sondern um sie auch mit den Trainingsmethoden des modernen Fußballs vertraut zu machen. Und wenn die polnischen Vereinsmannschaften zum wiederholten Male weder die Qualifikation für die Champions League überstanden noch die Zwischenrunde des UEFA-Cups erreichten, so wie 2007, scheute sich Beenhakker nicht davor, auch von den Funktionären mehr Leistung zu fordern. »Leute, macht euch endlich an die Arbeit«, appellierte der ehemalige Bondscoach damals.
Liebe, Begeisterung und Bewunderung sind jedoch meist keine Gefühle, die ewig anhalten – und schon gar nicht im Fußball. Diese Erfahrung mussten die Polen und Leo Beenhakker nach der verkorksten Europameisterschaft machen, bei der die »Weiß-Roten« gerade mal ein Abseitstor erzielten und einen Punkt holten. Ein frustrierendes Ergebnis, das erste Kritik an Leo Beenhakker laut werden ließ, sowohl bei den Fans als auch in der Presse. Doch besonders kritisch zeigten sich die Funktionäre des polnischen Fußballverbands, die das EM-Ergebnis dazu nutzten, um Leo Beenhakker endlich diskreditieren zu können. Plötzlich tauchten in den Medien Einzelheiten aus dem Vertrag Beenhakkers auf und einige Verantwortliche machten sich in aller Öffentlichkeit Gedanken über den nächsten Nationaltrainer und vor allem darüber, wann dieser sein Amt antreten soll.
Gedankenspiele, die die Fans und den Großteil der Presse die misslungene Europameisterschaft vergessen ließen, Leo Beenhakker jedoch anscheinend den Spaß an der Arbeit nahmen. Im Gegensatz zu den Anfangsjahren seines Engagements zeigte sich der Fußball-Globetrotter kaum noch bei den Spielen der Ekstraklasa. Und auch die polnischen Fußballtalente, mit denen er vor der EM noch so gerne gearbeitet hat, interessierten ihn kaum. Stattdessen wandte sich Beenhakker selber an die polnische Presse, um über seine Liebe zu Feyenoord Rotterdam zu schwärmen, wo er seit Anfang des Jahres als Berater tätig ist. Eine Entwicklung, die viele Fürsprecher Beenhakkers enttäuschte, mit dementsprechenden Folgen.
Die Leo-Schlachtrufe in den Stadien wurden leiser, und die Fachzeitung »Futbol« behauptete erst vor einigen Wochen, dass Beenhakker an den Transfers polnischer Spieler ins Ausland mitverdiene, ohne jedoch dafür Beweise vorlegen zu können.
Am meisten verunsichert durch das Theater um Beenhakker zeigten sich jedoch die Spieler der Nationalmannschaft. Beim 2:1 Sieg gegen die Tschechen konnten die »Weiß-Roten« zwar an die Leistungen aus der EM-Qualifikation anknüpfen, doch schon ziemlich bald bestätigte sich, dass der Sieg gegen die südlichen Nachbarn nur ein einmaliges Strohfeuer war. Sowohl in den zwei Spielen davor, erst recht aber in den darauf folgenden Partien fehlte es den Spielern an Laufbereitschaft, Kampfeswillen und Kreativität.
Von Spieltag zu Spieltag sanken die Chancen auf die WM 2010. Seit vergangenem Mittwoch können die Polen sich nun endgültig den Gedanken abschminken, im nächsten Jahr ihre Nationalmannschaft bei dem Turnier in Südafrika anfeuern zu können. Nach der 3:0 Niederlage gegen Slowenien, einem Höhepunkt des Anti-Fußballs den Polen in dieser WM-Qualifikation praktiziert hat, haben die Kicker unseres Nachbarlandes nur noch eine geringe theoretische Chance auf die Qualifikation für die Endrunde im nächsten Jahr.
Das große Spektakel, das die Fußballfans am vergangenen Mittwoch von den Spielern erwarteten, bekamen sie kurz nach dem Schlusspfiff von dem Verbandspräsidenten geboten. In einem Fernsehinterview verkündete Verbandspräsident Grzegorz Lato die sofortige Entlassung Leo Beenhakkers. Eine Art und Weise, für die sich der ehemalige Stürmer am nächsten Tag via TV bei dem Niederländer entschuldigte, dabei aber noch einmal seine Entscheidung bekräftigte. »Ich bleibe jedoch bei meiner Aussage – dies war das letzte Spiel des Holländers mit der polnischen Nationalmannschaft.«
Doch Leo Beenhakker scheinen die Worte der Entschuldigung nicht mehr erreicht zu haben. Kaum in den Niederlanden angekommen, nutze der ehemalige polnische Nationaltrainer die heimische Presse, um seine Enttäuschung und den in den letzten Monaten aufgebauten Frust loszuwerden. »Lato hat zu früh mit der Happy Hour begonnen und mindestens einen Schluck zu viel getrunken«, sagte Beenhakker in der Fernsehsendung Studio Sport. Und auch an den Strukturen des polnischen Fußballverbandes ließ er kein gutes Haar. »Der Abschied von den Spielern fällt mir schwer. Aber das Umfeld war amateurhaft organisiert, hoffnungslos. Bei Auswärtsspielen waren mehr Funktionäre mit Anhang dabei, als ich Spieler hatte. Das war wie eine Ferienreise für die.«
Es ist eine Kritik, die außerhalb des PZPN von den meisten geteilt wird. Schon ziemlich bald nach der Entlassung Leo Beenhakkers meldeten sich Stimmen zu Wort, die auch mit einem neuen Nationaltrainer, der nach dem Willen des Verbands aus Polen kommen soll, der Nationalmannschaft eine Blamage bei der im eigenen Land ausgetragenen EM 2012 vorhersagen. Es fehle an gut ausgebildetem Nachwuchs, qualifizierten Jugendtrainern und vor allem an professionellen Strukturen im polnischen Profifußball, so die Mahner.
Probleme, die der PZPN bisher nicht geneigt ist anzupacken. Anstatt Jugendtrainer auszubilden, die junge Talente an den Profifußball heranführen könnten, so wie es in Frankreich oder Deutschland üblich ist, rekrutiert der PZPN lieber polnischstämmige Profis aus dem Ausland, wie zu letzt Ludovic Obraniak. Im August gab der Profi des OSC Lille sein Debüt in der Nationalmannschaft. Und auch im Kampf gegen die Korruption tut sich der Fußballverband schwer. Bis heute werden regelmäßig Profis von der verantwortlichen Breslauer Staatsanwaltschaft verhaftet, und dies oft direkt nach den Ligaspielen, die am nächsten Spieltag wieder auflaufen dürfen.
Probleme, die nach Meinung polnischer Experten noch auf Jahre hinaus den Fußball belasten werden, mit vielleicht schwerwiegenden Folgen. Volleyball und Basketball laufen in Polen dem Fußball immer mehr den Rang ab, was sich am vergangenen Sonntag erneut bestätigte. Das EM-Finale der Volleyballer, das die Polen gegen Frankreich gewannen, verfolgten 7 Millionen Zuschauer. So viele, wie ein Jahr zuvor das Spiel der Polen gegen Österreich bei der Fußball-EM.
Doch anscheinend gibt es ausgerechnet in Deutschland jemanden, der sich berufen fühlt, den Fußball an der Weichsel zu retten. Wie polnische Nachrichtenagenturen am gestrigen Dienstag vermeldeten, bewarb sich Lothar Matthäus um den Posten des polnischen Nationaltrainers. Eine Bewerbung, die der PZPN jedoch sofort ablehnte.
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