Das Ende einer Liebe - Wie Beenhakker in Polen geschasst 11FREUNDE

November 2024 · 7 minute read

Nein, an die Beliebt­heits­werte eines Johannes Paul II. kam Leo Been­h­akker nie heran. Den­noch galt der Nie­der­länder in Polen noch vor einem Jahr als eine Art Heils­bringer, der mit einer durch­schnitt­li­chen Mann­schaft, deren im Aus­land spie­lende Stützen in ihren Ver­einen nur noch auf der Ersatz­bank sitzen, so wie Jacek Krzy­nowek, die Qua­li­fi­ka­tion für die Euro­pa­meis­ter­schaft schaffte. Ein für den pol­ni­schen Fuß­ball his­to­ri­sches Ereignis. Nie zuvor hatte die Natio­nal­mann­schaft an der End­runde dieses Tur­niers teil­ge­nommen. 

Und die Polen waren Been­h­akker für dieses Wunder nicht nur dankbar. Spä­tes­tens nach dem gran­diosen 2:1 Erfolg über Por­tugal im Oktober 2006 berauschte sich das Land regel­recht an seiner Person. Wäh­rend der Län­der­spiele priesen ihn die Fans mit »Leo, Leo«-Sprechchören und tranken mit noch mehr Genuss das Bier der Brauerei, die zur Hälfte sein Gehalt bezahlte. Selbst die pol­ni­sche Presse, eher dafür berüch­tigt, Poli­tiker und Fuß­ball­trainer in Grund und Boden zu schreiben, wid­mete ihm Leit­ar­tikel, in denen sie Been­h­akker nicht nur zum Vor­bild für die pol­ni­sche Trai­ner­gilde, son­dern gleich zum Refor­mator des hei­mi­schen Fuß­balls erklärte. Lob­prei­sungen, vor denen selbst die Politik nicht halt machte. Im Februar 2008 ver­lieh Prä­si­dent Lech Kac­zynski dem Nie­der­länder den »Orden der Wie­der­ge­burt Polens«, eine der höchsten staat­li­chen Aus­zeich­nungen öst­lich der Oder. 

Diese Lie­bes­be­kun­dungen beruhten aber nicht allein auf dem sport­li­chen Erfolg Been­h­ak­kers. Viel­mehr galt der nie­der­län­di­sche Trainer der pol­ni­schen Öffent­lich­keit von Anfang an als Gegen­part zu den eigenen Ver­bands­funk­tio­nären, die in den letzten 20 Jahren tatenlos zusahen, wie der pol­ni­sche Fuß­ball in einen scheinbar endlos tiefen Sumpf aus Kor­rup­tion und Erfolg­lo­sig­keit ver­sank. »Fickt den PZPN«, hallt es schon seit Jahren durch die pol­ni­schen Sta­dien, egal ob wäh­rend der Liga­spiele oder den Auf­tritten der Natio­nal­mann­schaft. 

Gesänge, die nicht unge­hört blieben. Nach der WM 2006 enga­gierten die so gehassten PZPN-Funk­tio­näre, die sich allein durch ihre Erfolge in den 70er und frühen 80er Jahren legi­ti­mieren, den von der Öffent­lich­keit so gewünschten aus­län­di­schen Trainer, ohne dabei aus ihrem Wider­willen einen Hehl zu machen. »Nun habt ihr bekommen, was ihr haben wolltet. Und jetzt werden wir euch ficken«, raunte im Sommer 2006 der Tor­schüt­zen­könig der WM 74 und jet­zige Ver­bands­prä­si­dent, Grze­gorz Lato, den pol­ni­schen Jour­na­listen ent­gegen. 

Doch Leo Been­h­akker gab den Ver­bands­funk­tio­nären, die ein ehe­ma­liger Gene­ral­staats­an­walt in einem Inter­view mit Mafiosi ver­glich, nicht die Mög­lich­keit, sich an der Öffent­lich­keit zu rächen. Ganz im Gegen­teil, der 67-Jäh­rige ging regel­recht auf in der ihm zuge­dachten Rolle des Refor­ma­tors. Wie besessen reiste er durch das Land und schaute sich noch so erbärm­liche Liga­spiele an, um junge Talente zu ent­de­cken. Talente, für die Been­h­akker regel­mäßig mehr­tä­tige Trai­nings­lager ver­an­stal­tete, um sie nicht nur an die Natio­nal­mann­schaft her­an­zu­führen, son­dern um sie auch mit den Trai­nings­me­thoden des modernen Fuß­balls ver­traut zu machen. Und wenn die pol­ni­schen Ver­eins­mann­schaften zum wie­der­holten Male weder die Qua­li­fi­ka­tion für die Cham­pions League über­standen noch die Zwi­schen­runde des UEFA-Cups erreichten, so wie 2007, scheute sich Been­h­akker nicht davor, auch von den Funk­tio­nären mehr Leis­tung zu for­dern. »Leute, macht euch end­lich an die Arbeit«, appel­lierte der ehe­ma­lige Bond­s­coach damals. 

Liebe, Begeis­te­rung und Bewun­de­rung sind jedoch meist keine Gefühle, die ewig anhalten – und schon gar nicht im Fuß­ball. Diese Erfah­rung mussten die Polen und Leo Been­h­akker nach der ver­korksten Euro­pa­meis­ter­schaft machen, bei der die »Weiß-Roten« gerade mal ein Abseitstor erzielten und einen Punkt holten. Ein frus­trie­rendes Ergebnis, das erste Kritik an Leo Been­h­akker laut werden ließ, sowohl bei den Fans als auch in der Presse. Doch beson­ders kri­tisch zeigten sich die Funk­tio­näre des pol­ni­schen Fuß­ball­ver­bands, die das EM-Ergebnis dazu nutzten, um Leo Been­h­akker end­lich dis­kre­di­tieren zu können. Plötz­lich tauchten in den Medien Ein­zel­heiten aus dem Ver­trag Been­h­ak­kers auf und einige Ver­ant­wort­liche machten sich in aller Öffent­lich­keit Gedanken über den nächsten Natio­nal­trainer und vor allem dar­über, wann dieser sein Amt antreten soll. 

Gedan­ken­spiele, die die Fans und den Groß­teil der Presse die miss­lun­gene Euro­pa­meis­ter­schaft ver­gessen ließen, Leo Been­h­akker jedoch anschei­nend den Spaß an der Arbeit nahmen. Im Gegen­satz zu den Anfangs­jahren seines Enga­ge­ments zeigte sich der Fuß­ball-Glo­be­trotter kaum noch bei den Spielen der Eks­tra­klasa. Und auch die pol­ni­schen Fuß­ball­ta­lente, mit denen er vor der EM noch so gerne gear­beitet hat, inter­es­sierten ihn kaum. Statt­dessen wandte sich Been­h­akker selber an die pol­ni­sche Presse, um über seine Liebe zu Feye­noord Rot­terdam zu schwärmen, wo er seit Anfang des Jahres als Berater tätig ist. Eine Ent­wick­lung, die viele Für­spre­cher Been­h­ak­kers ent­täuschte, mit dem­entspre­chenden Folgen.

Die Leo-Schlacht­rufe in den Sta­dien wurden leiser, und die Fach­zei­tung »Futbol« behaup­tete erst vor einigen Wochen, dass Been­h­akker an den Trans­fers pol­ni­scher Spieler ins Aus­land mit­ver­diene, ohne jedoch dafür Beweise vor­legen zu können. 

Am meisten ver­un­si­chert durch das Theater um Been­h­akker zeigten sich jedoch die Spieler der Natio­nal­mann­schaft. Beim 2:1 Sieg gegen die Tsche­chen konnten die »Weiß-Roten« zwar an die Leis­tungen aus der EM-Qua­li­fi­ka­tion anknüpfen, doch schon ziem­lich bald bestä­tigte sich, dass der Sieg gegen die süd­li­chen Nach­barn nur ein ein­ma­liges Stroh­feuer war. Sowohl in den zwei Spielen davor, erst recht aber in den darauf fol­genden Par­tien fehlte es den Spie­lern an Lauf­be­reit­schaft, Kamp­fes­willen und Krea­ti­vität.

Von Spieltag zu Spieltag sanken die Chancen auf die WM 2010. Seit ver­gan­genem Mitt­woch können die Polen sich nun end­gültig den Gedanken abschminken, im nächsten Jahr ihre Natio­nal­mann­schaft bei dem Tur­nier in Süd­afrika anfeuern zu können. Nach der 3:0 Nie­der­lage gegen Slo­we­nien, einem Höhe­punkt des Anti-Fuß­balls den Polen in dieser WM-Qua­li­fi­ka­tion prak­ti­ziert hat, haben die Kicker unseres Nach­bar­landes nur noch eine geringe theo­re­ti­sche Chance auf die Qua­li­fi­ka­tion für die End­runde im nächsten Jahr. 

Das große Spek­takel, das die Fuß­ball­fans am ver­gan­genen Mitt­woch von den Spie­lern erwar­teten, bekamen sie kurz nach dem Schluss­pfiff von dem Ver­bands­prä­si­denten geboten. In einem Fern­seh­in­ter­view ver­kün­dete Ver­bands­prä­si­dent Grze­gorz Lato die sofor­tige Ent­las­sung Leo Been­h­ak­kers. Eine Art und Weise, für die sich der ehe­ma­lige Stürmer am nächsten Tag via TV bei dem Nie­der­länder ent­schul­digte, dabei aber noch einmal seine Ent­schei­dung bekräf­tigte. »Ich bleibe jedoch bei meiner Aus­sage – dies war das letzte Spiel des Hol­län­ders mit der pol­ni­schen Natio­nal­mann­schaft.« 

Doch Leo Been­h­akker scheinen die Worte der Ent­schul­di­gung nicht mehr erreicht zu haben. Kaum in den Nie­der­landen ange­kommen, nutze der ehe­ma­lige pol­ni­sche Natio­nal­trainer die hei­mi­sche Presse, um seine Ent­täu­schung und den in den letzten Monaten auf­ge­bauten Frust los­zu­werden. »Lato hat zu früh mit der Happy Hour begonnen und min­des­tens einen Schluck zu viel getrunken«, sagte Been­h­akker in der Fern­seh­sen­dung Studio Sport. Und auch an den Struk­turen des pol­ni­schen Fuß­ball­ver­bandes ließ er kein gutes Haar. »Der Abschied von den Spie­lern fällt mir schwer. Aber das Umfeld war ama­teur­haft orga­ni­siert, hoff­nungslos. Bei Aus­wärts­spielen waren mehr Funk­tio­näre mit Anhang dabei, als ich Spieler hatte. Das war wie eine Feri­en­reise für die.« 

Es ist eine Kritik, die außer­halb des PZPN von den meisten geteilt wird. Schon ziem­lich bald nach der Ent­las­sung Leo Been­h­ak­kers mel­deten sich Stimmen zu Wort, die auch mit einem neuen Natio­nal­trainer, der nach dem Willen des Ver­bands aus Polen kommen soll, der Natio­nal­mann­schaft eine Bla­mage bei der im eigenen Land aus­ge­tra­genen EM 2012 vor­her­sagen. Es fehle an gut aus­ge­bil­detem Nach­wuchs, qua­li­fi­zierten Jugend­trai­nern und vor allem an pro­fes­sio­nellen Struk­turen im pol­ni­schen Pro­fi­fuß­ball, so die Mahner. 

Pro­bleme, die der PZPN bisher nicht geneigt ist anzu­pa­cken. Anstatt Jugend­trainer aus­zu­bilden, die junge Talente an den Pro­fi­fuß­ball her­an­führen könnten, so wie es in Frank­reich oder Deutsch­land üblich ist, rekru­tiert der PZPN lieber pol­nisch­stäm­mige Profis aus dem Aus­land, wie zu letzt Ludovic Obra­niak. Im August gab der Profi des OSC Lille sein Debüt in der Natio­nal­mann­schaft. Und auch im Kampf gegen die Kor­rup­tion tut sich der Fuß­ball­ver­band schwer. Bis heute werden regel­mäßig Profis von der ver­ant­wort­li­chen Bres­lauer Staats­an­walt­schaft ver­haftet, und dies oft direkt nach den Liga­spielen, die am nächsten Spieltag wieder auf­laufen dürfen. 

Pro­bleme, die nach Mei­nung pol­ni­scher Experten noch auf Jahre hinaus den Fuß­ball belasten werden, mit viel­leicht schwer­wie­genden Folgen. Vol­ley­ball und Bas­ket­ball laufen in Polen dem Fuß­ball immer mehr den Rang ab, was sich am ver­gan­genen Sonntag erneut bestä­tigte. Das EM-Finale der Vol­ley­baller, das die Polen gegen Frank­reich gewannen, ver­folgten 7 Mil­lionen Zuschauer. So viele, wie ein Jahr zuvor das Spiel der Polen gegen Öster­reich bei der Fuß­ball-EM. 

Doch anschei­nend gibt es aus­ge­rechnet in Deutsch­land jemanden, der sich berufen fühlt, den Fuß­ball an der Weichsel zu retten. Wie pol­ni­sche Nach­rich­ten­agen­turen am gest­rigen Dienstag ver­mel­deten, bewarb sich Lothar Mat­thäus um den Posten des pol­ni­schen Natio­nal­trai­ners. Eine Bewer­bung, die der PZPN jedoch sofort ablehnte. 

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